Welche Aus- und Weiterbildungen werden aufgrund der Digitalisierung nötig?
Digitalisierung ist seit vielen Jahren ein wichtiger Megatrend auf dem Arbeitsmarkt. Mit dem Aufkommen von generativer künstlicher Intelligenz in der Form von «Chatbots» sind die Digitalisierung und ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt noch stärker in den Fokus gerückt. Dieser Artikel diskutiert, inwiefern die Digitalisierung zusätzliche Aus- und Weiterbildungen nötig macht, welche Themen diese aufgreifen sollten, und ob Präsenz- oder Online-Unterricht bevorzugt wird.
Von Thomas Bolli und Filippo Pusterla
Das Thema «Digitalisierung» ist im vergangenen Jahr besonders von Diskussionen über künstliche Intelligenz geprägt worden. Anfang 2023 ist mit ChatGPT eine erste sogenannte generative künstliche Intelligenz verfügbar worden, welche in der Form eines «Chatbots» die Anwendung von künstlicher Intelligenz für die Allgemeinheit leicht zugänglich machen. Seither nehmen die Verbreitung der generativen künstlichen Intelligenz und ihre Anwendung in neuen Bereichen stetig zu. Auch wenn die Digitalisierung für den Arbeitsmarkt bereits vorher wichtig war, ist deren Wahrnehmung mit diesen Neuerungen deutlich angestiegen.
Aus- und Weiterbildung spielen eine zentrale Rolle dabei, damit sich die Kompetenzen der Erwerbsbevölkerung den Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt anpassen können. Dieser Beitrag untersucht deshalb anhand einer im Frühling 2023 durchgeführten Befragung von mehr als 4000 Studierenden und Diplomierten HF, wie sich die Digitalisierung auf den Aus- und Weiterbildungsbedarf auswirkt und welche Themen in welcher Form als besonders relevant erachtet werden. Die Befragung fand folglich statt, als die Nutzung künstlicher Intelligenz noch wenig verbreitet war. Um einen zeitlichen Vergleich zu ermöglichen, greifen wir auch auf Daten aus den Erhebungen der Jahre 2017 und 2021 zurück.
Der Bedarf an Aus- und Weiterbildungen aufgrund der Digitalisierung bleibt konstant
Um die Entwicklung des Aus- und Weiterbildungsbedarfs aufgrund der Digitalisierung zu verdeutlichen, zeigt die Abbildung 1 den Anteil der Befragten auf, die zusätzlichen Bedarf sehen. Dieser Anteil liegt im Jahr 2023 bei 67 Prozent, was bedeutet, dass rund zwei Drittel der Befragten einen zusätzlichen Aus- und Weiterbildungsbedarf aufgrund der Digitalisierung sehen. Dieser Anteil ist damit praktisch ähnlich hoch wie 2021, aber deutlich niedriger als 2017.
In allen Fachbereichen ist der digitalisierungsbedingte Aus- und Weiterbildungsbedarf relativ stabil geblieben. Einzige Ausnahmen sind der Fachbereich Wirtschaft, wo er leicht zurückgegangen ist, und der Fachbereich Soziales und Erwachsenenbildung, wo er zugenommen hat. Weitere Auswertungen zeigen, dass kein grosser Unterschied zwischen Kadermitarbeitenden und Mitarbeitenden ohne Kaderfunktion besteht und dass es kein klares Altersmuster gibt. Männer sehen tendenziell einen höheren Aus- und Weiterbildungsbedarf aufgrund der Digitalisierung als Frauen.
Dieses relativ stabile Bild überrascht angesichts der Ausbreitung der künstlichen Intelligenz. Eine mögliche Erklärung könnte sein, dass die Befragten im Frühling 2023 noch unterschätzt haben, inwiefern die Verbreitung diese Technologie den Aus- und Weiterbildungsbedarf beeinflussen kann. Eine andere Erklärung könnte sein, dass digitalisierungsbedingte Aus- und Weiterbildungen bereits vorher notwendig und besucht waren und die Ausbreitung der künstlichen Intelligenz hauptsächlich deren Inhalt verändert beziehungsweise den Anwendungsbereich erweitert hat. So könnten sich Studierende und Absolvierende HF bereits in der Folge der COVID-19-Pandemie stark auf digitalisierungsbedingte Aus- und Weiterbildungen fokussiert haben. Der nächste Abschnitt befasst sich daher näher mit den Themen der Aus- und Weiterbildungen, welche durch die Digitalisierung notwendig werden.
In welchen Themen sind Aus- und Weiterbildungen erforderlich?
Betrachten wir zunächst die Aus- und Weiterbildungsthemen, welche die Studierenden und Absolvierenden HF aufgrund der zunehmenden Digitalisierung als notwendig erachten. Die Auswertung von 2021 (siehe ODEC-Bulletin 2/2022) hat gezeigt, dass Informatik das Thema war, bei dem am meisten Aus- und Weiterbildungsbedarf existierte. Mit der aktuellen Umfrage möchten wir nun mehr darüber wissen, welche die relevanten Themen der Informatik sind. Wir haben deshalb diese Kategorie nach verschiedenen Software- bzw. Anwendungsbereichen unterteilt.
Abbildung 2 zeigt den Anteil der Befragten, die aufgrund der Digitalisierung eine Aus- oder Weiterbildung in einem bestimmten Thema als notwendig erachten². Mit einem Anteil von rund 40 Prozent wird der Aus- und Weiterbildungsbedarf aufgrund der Digitalisierung im Bereich Software zur Prozessoptimierung von den Befragten als besonders relevant eingeschätzt. Andere Aus- und Weiterbildungen im IT-Bereich folgen mit einigem Abstand: Datenanalyse (mit 35 Prozent der Befragten), Programmierung (30 Prozent) sowie Software zur Bearbeitung von Texten, Tabellen und Bildern und Software zur Kommunikation mit anderen Anspruchsgruppen (jeweils 20 Prozent).
Es werden jedoch nicht nur Aus- und Weiterbildungen im Bereich der Informatik durch die Digitalisierung notwendig. Auch Kaderkurse werden von über 30 Prozent als notwendig erachtet. Zudem werden Kurse im Bereich der Persönlichkeitsbildung von einem Viertel der Befragten als nötig befunden. Dies zeigt die hohe Bedeutung von Soft Skills, um die Chancen der Digitalisierung ergreifen zu können.
Unterschiede zwischen den Fachbereichen der Befragten deuten darauf hin, dass Aus- und Weiterbildungen zu Software zur Prozessoptimierung insbesondere in den Bereichen «Gastgewerbe, Tourismus und Hauswirtschaft», «Technik» sowie «Wirtschaft» von Bedeutung sind. In den beiden letztgenannten Bereichen werden zudem häufig Aus- und Weiterbildungen im Bereich Datenanalyse und IT-Sicherheit genannt. In allen Fachbereichen werden die Themen Kaderausbildung und Persönlichkeitsbildung erwähnt, mit Anteilen, die zwischen 20 und 40 Prozent variieren. Erwähnenswert sind auch Aus- und Weiterbildungen zum Thema Gesundheit und Pädagogik, die in den Fachbereichen «Gesundheit» bzw. «Soziales und Erwachsenenbildung» aufgrund der Digitalisierung als notwendig erachtet werden. Die Unterschiede in den Aus- und Weiterbildungsthemen zwischen Kadermitarbeitenden und Mitarbeitenden ohne Kaderfunktion sowie zwischen Jüngeren und Älteren sind gering. Hingegen legen Männer mehr Wert auf digitalisierungsbezogene Aus- und Weiterbildungen in informatiknahen Themen als Frauen.
Aus- und Weiterbildungen sollten hybrid stattfinden
Der grosse thematische Unterschied zwischen den Aus- und Weiterbildungen im Bereich der Informatik und denjenigen der Kader- und Persönlichkeitsbildung wirft die Frage auf, in welcher Form – online oder als Präsenz – diese besucht werden sollen. Abbildung 3 zeigt den Anteil der Befragten, die eine bestimmte Form als angemessen erachten. Etwas überraschend zeigt diese Abbildung, dass es keine extrem grossen Unterschiede zwischen den Themen gibt. Sowohl Aus- und Weiterbildungen im Bereich der Informatik als auch im Bereich der Kader- und Persönlichkeitsbildung werden am meisten als Mischung aus Präsenz- und Online- Angeboten gewünscht. Dieser Anteil liegt bei allen Themen bei über 50 Prozent. Der Anteil der Befragten, die sich ausschliesslich Präsenzformate für ihre Aus- und Weiterbildungen wünschen, liegt zwischen 6 Prozent bei IT-Sicherheit und 9 Prozent bei Software zur Bearbeitung von Texten, Tabellen und Bildern. Am anderen Ende des Spektrums, bei Aus- und Weiterbildungen, welche ausschliesslich im Online-Format gewünscht werden, liegen die Anteile zwischen 4 Prozent bei Kaderkursen und fast 7 Prozent bei der Bearbeitung von Texten, Tabellen und Bildern. Diese Unterschiede sind jedoch sehr gering und es ist kein klares Muster zwischen den beiden grossen thematischen Bereichen erkennbar.
Weitere Datenauswertungen zeigen, dass im Fachbereich «Soziales und Erwachsenenbildung» eine grosse Präferenz für Präsenzformate bei den Aus- und Weiterbildungsformen besteht, während diese von Personen aus dem Fachbereich «Wirtschaft» am wenigsten gewünscht werden. Etwas überraschend ist auch, dass der Fachbereich «Gesundheit» mit etwas mehr als 20 Prozent der Befragten, die sich Aus- und Weiterbildungen eher online oder ganz online wünschen, den grössten Anteil aufweist. Hinsichtlich der gewünschten Form zeigen sich hingegen nur geringe Unterschiede zwischen Kadermitarbeitenden und Mitarbeitenden ohne Kaderfunktion sowie zwischen den verschiedenen Altersgruppen. In Bezug auf Geschlecht wünschen Frauen sich im Vergleich zu Männern etwas häufiger Aus- und Weiterbildungen im Onlineformat.
Zusammenfassung Die Befragung im Frühling 2023 zeigt, dass zwei Drittel der befragten HF-Studierenden und -Absolvierenden der Meinung sind, dass die Digitalisierung zusätzliche Aus- und Weiterbildungen notwendig macht. Dieser Anteil ist hoch, ist aber auch praktisch identisch mit dem Wert vor zwei Jahren als Anwendungen von künstlicher Intelligenz noch nicht so verbreitet waren wie heute. Dies könnte darauf hindeuten, dass die Auswirkungen von künstlicher Intelligenz auf den Arbeitsmarkt zumindest zu diesem frühen Zeitpunkt noch unterschätzt wurden.
Neben technischen Themen wie unterschiedlichen Softwares erhöht die Digitalisierung auch den Bedarf an Kaderkursen und Persönlichkeitsbildung. Diese Themen werden sowohl in Präsenz als auch online als passend eingeschätzt. Die Ergebnisse – auch wenn sie nicht für die gesamte Schweizer Arbeitskraft repräsentativ sind – zeigen, wie wichtig die Aus- und Weiterbildungen im Zuge der Digitalisierung in einem sich ständig wandelnden Arbeitsmarkt sind. Inwiefern sich neueste Technologien, wie die generative künstliche Intelligenz, auf Personen mit einem HF-Abschluss auswirken werden, wird sich in den kommenden Jahren zeigen.
ODEC-Umfrage
Wir danken dem ODEC für die Möglichkeit, im Rahmen ihrer Salärumfrage, spezifische Fragen zum Thema Aus- und Weiterbildung an den Arbeitsplätzen der HF-Absolvierenden durchzuführen. Dieser Bericht basiert hauptsächlich auf ihrer Umfrage 2023.