Was braucht es für eine erfolgreiche Berufsbildungsreform? Ein Rezept zur Analyse von Triebkräften und Hindernissen

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Bildungssysteme geraten weltweit unter Reformdruck: Reformen in der Berufsbildung sind besonders herausfordernd, weil neben den Akteuren des Bildungssystems auch Akteure des Beschäftigungssystems involviert sind. In diesem Artikel präsentieren wir einen analytischen Rahmen, um die Triebkräfte und Hindernisse einer Bildungsreform besser verstehen zu können.


Von Thomas Bolli und Lena Dändliker¹


Das Berufsbildungssystem der Schweiz ist gut aufgestellt. Ein wichtiger Grund ist die gute Verknüpfung der Akteure des Bildungs- und Beschäftigungssystems. Zudem zeichnet sich das Berufsbildungssystem der Schweiz durch viele Auf- und Umsteigemöglichkeiten aus. Allerdings kann die gute Qualität des schweizerischen Berufsbildungssystems nur mit einer kontinuierlichen Reformbereitschaft aufrechterhalten werden. Dies beinhaltet Reformen auf einer systemischen Ebene wie die Einführung der Berufsmatur. Es bedingt aber auch Reformen auf einer Programm- und Curriculum-Ebene wie die Erschaffung neuer Lehrgänge und die Revision von Rahmenlehrplänen.

Solche Reformen sind allerdings komplex und deren Erfolg ist durch viele Faktoren beeinflusst. Um die vielschichtigen Transformationsprozesse von Berufsbildungsreformen besser zu verstehen, haben wir, die Professur für Bildungssysteme der ETH Zürich, einen analytischen Rahmen entwickelt. Damit können wir die Komplexität der Prozesse in kleinere Stücke aufbrechen und Triebkräfte sowie Hindernisse im Transformationsprozess identifizieren. Wir teilen Triebkräfte und Hindernisse in fünf Kategorien ein. Jede dieser Kategorien enthält mehrere Schlüsselaspekte. Abbildung 1 zeigt eine Übersicht der fünf Kategorien und den darin enthaltenen Schlüsselaspekten.

Im Folgenden sprechen wir von Akteuren. Damit meinen wir sämtliche Institutionen, die in eine Berufsbildungsreform involviert sind. In der Schweizerischen Berufsbildung sind das insbesondere der Bund, die Kantone, Verbände, Schulen und Unternehmen.

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Bemerkungen: Die Abbildung zeigt die fünf Kategorien der Triebkräfte und Hindernisse einer Berufsbildungsreform sowie deren Schlüsselaspekte. Quelle: Eigene Darstellung basierend auf Caves et al. (2021). Die Abbildung zeigt zum Beispiel, dass die Kategorie «Engagement» in die Schlüsselaspekte des politischen Willens und der Qualität der Kooperation aufgeteilt ist.

In der Kategorie «Engagement» erfassen wir, ob die Akteure die Berufsbildungsreform gutheissen und unterstützen. Der erste Schlüsselaspekt ist der politische Wille. Er bezieht sich auf das Ausmass, in dem die Akteure die mit der Reform einhergehenden Veränderungen fordern oder sich ihnen widersetzen. Der zweite Aspekt ist die Kooperation. Ähnlich erfassen wir hier, dass eine gemeinsame Lösungssuche der Akteure für eine erfolgreiche Reform wichtig ist.

In der Kategorie «Kapazität» untersuchen wir, ob die Akteure über die Kapazität verfügen, um die notwendigen Veränderungen umzusetzen. Erstens müssen die Akteure über genügend personelle Ressourcen, wie zum Beispiel Lehrkräfte oder Fachwissen in Leitungsgremien, verfügen. Zweitens müssen die finanziellen Ressourcen vorhanden sein. Drittens erfordert eine Berufsbildungsreform ausreichende zeitliche Ressourcen. Viertens braucht es eine gute strategische Führung – also eine Führungspersönlichkeit, die die Verantwortung übernimmt und notwendige Umstellungen vorantreibt. Als Letztes sollten die Akteure über ausreichend Informationen zur Reform verfügen. Zum Beispiel können diese nicht gut genug informiert worden sein. Oder die Informationen wurden noch gar nicht aufbereitet und zusätzliche Nachforschungen, Recherchen und Forschungsprojekte sind notwendig.

Bei der Kategorie «Rollenverteilung» erfassen wir, wie gut die Akteure in die Berufsbildungsreform eingebunden sind. Wenn die Akteure eine klare Rolle haben und passend in die Ausbildung eingebunden sind, erhöht dies die Qualität der Transformationsprozesse und damit die Erfolgswahrscheinlichkeit.

Beim ersten Aspekt der Kategorie «Inhalt» untersuchen wir, ob die Akteure eine klare langfristige Strategie haben, um ihre Ziele bezüglich Berufsbildungsreform zu erreichen. Der zweite Aspekt bezieht sich auf die Qualitätssicherung und schliesst in der dualen Berufsbildung sowohl die schulische Ausbildung als auch die Ausbildung am Arbeitsplatz ein. Beim dritten Aspekt geht es um das Ausmass der Veränderung durch die Reform. Je grösser das Ausmass ist, desto grösser ist auch das Hindernis für die Akteure, die Reform voranzutreiben.

In der letzten Kategorie «Kontext» erfassen wir den institutionellen Kontext. Dabei spielt der Aspekt der Passgenauigkeit eine zentrale Rolle. Wenn eine Berufsbildungsreform auf den Kontext des Landes, der Ausbildung und des Berufes zugeschnitten ist, erleichtert dies die Transformation. Der zweite Aspekt ist die Qualität der institutionellen Koordination. Zum Beispiel könnte die Koordination mit den Akteuren ineffizient oder bürokratisch sein und damit ein Hindernis für eine erfolgreiche Berufsbildungsreform darstellen.

Um dem analytischen Rahmen Leben einzuhauchen, wenden wir diesen in realen Berufsbildungsreformen an. Der grosse Vorteil dieses analytischen Rahmens besteht also darin, dass es sich nicht um eine theoretische Übung handelt, sondern zu konkreten empirischen Ergebnissen führt. Dabei fragen wir Experten, inwiefern die verschiedenen Kategorien und Schlüsselaspekte für sie Triebkräfte oder Hindernisse darstellen. Indem wir also den analytischen Rahmen bei Befragungen mit Experten anwenden, können wir die relevanten Hindernisse einer Berufsbildungsreform identifizieren.

Ein konkretes Fallbeispiel, bei dem wir den analytischen Rahmen angewendet haben, ist die Einführung eines dualen Berufsbildungsgesetzes in Serbien (Caves und Oswald-Egg, 2023). Dieses wurde 2017 mit dem Ziel eingeführt, die Qualität der Berufsbildung und damit nationale Probleme wie die hohe Jugendarbeitslosigkeit zu verbessern. Das Gesetz beinhaltet unter anderem die Einführung von Verträgen zwischen Unternehmen und Berufslernenden oder Lizenzierungen für Ausbildnerinnen und Ausbildner. Verschiedene Akteure wie Bildungsministerium, Handelskammer, Schulen und Unternehmen haben unterschiedliche Rollen im Prozess erhalten.

Die Befragungen mit den Akteuren zeigen, dass Hindernisse in der Umsetzung existieren. Zum Beispiel ist die Strategie der Kategorie «Inhalt» nicht vollständig ausgearbeitet. Dabei sind das Bildungsministerium und die Handelskammer mit der Entwicklung und Umsetzung von Prozessen und der Auslegung von Rechtsvorschriften nach Angaben bisher sehr stark ausgelastet. Denn die Prozesse sind komplex: Unternehmen müssen zum Beispiel von der Handelskammer zertifiziert sein und über lizenzierte Ausbildner verfügen, bevor sie Berufslernende aufnehmen können. Das bedeutet, die Handelskammer muss dafür zunächst Verfahren entwickeln, um die Unternehmen sowie Ausbildner zu schulen.

Die Befragungen zeigen allerdings auch, dass viele der Kategorien Triebkräfte sind. So zum Beispiel die Kategorie «Kontext»: 85 Prozent der Befragten geben an, dass ein duales Berufsbildungssystem in den serbischen Kontext passt. Auch die Kategorie «Engagement» ist eine Triebkraft: 99 Prozent geben an, dass der Wille zur Kooperation gross ist.

Insgesamt schlussfolgern die Autoren, dass die Reform bisher ein Erfolg ist. Der Fall von Serbien zeigt damit, dass nicht immer alle Dimensionen «perfekt» erfüllt sein müssen, damit eine Reform gut voranschreiten kann.

¹Professur für Bildungssysteme, ETH Zürich

Referenzen

K. M. Caves, S. Baumann & U. Renold (2021). Getting there from here: A literature review on vocational education and training reform implementation. Journal of Vocational Education & Training, 73(1), 95-126.
K. M. Caves and M. E. Oswald-Egg (2023). An Empirical Case of Education Policy Implementation in Serbian VET. International Journal for Research in Vocational Education and Training, 10(2), 191-219.