Einblick in die Welt der Rechtsfachleute HF
Anlaufstellen bei Rechtsfragen sind nicht nur Anwälte und Juristen, sondern auch Rechtsfachleute HF. Thomas Stark, Lehrgangsleiter HF Recht am Zentrum für berufliche Weiterbildung St. Gallen (ZbW), und Maria Imhof, Rechtsfachfrau HF, liefern spannende Hintergrundinformationen zum Bildungsgang «Recht HF».
«Rechtsfachleute HF sind Mitarbeitende mit einem fundierten, generalistischen und juristischen Hintergrund- und Orientierungswissen», sagt Thomas Stark, vom Zentrum für berufliche Weiterbildung St. Gallen (ZbW). Sie würden Aufgaben mit rechtlichem Bezug und einfachere Rechtsfälle bearbeiten. «Dabei stützen sie sich auf der Grundlage eines fundierten theoretischen und in der Praxis abgestützten rechtlichen Basis- und Methodenwissens ab.» Weiter sagt Stark, dass das praxisorientierte Verständnis in den Bereichen Zivil-, Straf-, Handels- und Wirtschafts-, im Staats- und Verwaltungsrecht sowie im Prozessrecht ihnen eine ganzheitliche Betrachtungsweise von rechtlichen Aufgaben und Problemstellungen ermöglicht. «Rechtsfachleute beraten interne und externe Kunden in juristischen Fragen, erstellen und prüfen Verträge, bearbeiten Betreibungen, Strafrechtsfälle sowie Aufgaben in der öffentlichen Verwaltung und erarbeiten die Grundlagen für öffentliche Beurkundungen.» Bei aufwändigeren Rechtsfällen würden sie einen Teil des Auftrags bearbeiten und die Schnittstelle zu Juristen BA, MA und zu Anwälten bilden. Da sie im Weiteren nicht aktiv vor Gericht auftreten können, kommt ihnen vielfach die Rolle eines internen Beraters respektive eines qualifizierten Sachbearbeiters zu.
Vielseitig einsetzbar
Die Einsatzgebiete der Rechtsfachleute HF sind sehr vielseitig, wie Stark erklärt. Kleinere und mittlere Unternehmen würden für juristischen Rat regelmässig auf externe Hilfe zurückgreifen. Interne Rechtsfachleute seien jedoch von Vorteil: «Sie verfügen über branchenspezifisches Wissen und branchenspezifische Erfahrung, da sie den Betrieb und die verantwortlichen Personen aus der täglichen Arbeit kennen. All dies versetzt sie in die Lage, die Firma im Alltag schnell und effizient zu beraten.» Darüber hinaus vermindere der informelle und sofortige Zugang zu internen Rechtsfachleuten allenfalls bestehende Schwellenängste der Mitarbeitenden. «Damit erhöht sich die Chance, dass juristischer Rat dort, wo er beim Abschluss von Geschäften nötig ist, auch wirklich eingeholt wird», erklärt Stark.
«Hoheitliches Handeln in der öffentlichen Verwaltung hat immer auch juristische Aspekte, da praktisch jede öffentliche Aufgabe auf Rechtsgrundlagen basiert.» Zweck der öffentlichen Verwaltung sei es, geltendes Recht um- und durchzusetzen (Steuerämter, Betreibungsämter, Zivilstandsämter, Handelsregisterämter etc.). Rechtsfachleute in der öffentlichen Verwaltung würden ihr breites juristisches Wissen für die sachgerechte Lösung von juristischen Aufgabenstellungen und Problemen einsetzen und auch als Ansprechpartnerinnen und Ansprechpartner für externe Anwälte und Juristen dienen.
In Anwaltskanzleien würden Rechtsfachleute die selbständige Bearbeitung von kleineren Fällen übernehmen. «In komplexeren Fällen arbeiten sie unter Anleitung eines Rechtsanwaltes und erledigen Teilaufgaben, wie beispielsweise juristische Recherchen, Aufbereitung von Informationen, Entwurf von öffentlichen Urkunden und Registeranmeldungen», sagt Stark.
Untersuchungsorgane (Mitarbeitende der Polizei, von Untersuchungsrichterämtern und Staatsanwaltschaften etc.) seien spezielle öffentliche Verwaltungsträger. Grundsätzlich würden diese Behörden durch universitär ausgebildete Juristen geführt. «Fälle wie zum Beispiel Strassenverkehrsdelikte oder Drogendelikte werden von Rechtsfachleuten HF mit spezifischem Fachwissen im Auftrag der Vorgesetzten abgewickelt.» Weiter erklärt Stark, dass in grösseren Fällen Rechtsfachleute HF auch für verschiedene Teilaufgaben eingesetzt und beigezogen werden.
Ähnlich auch bei Banken und Versicherungen; Hauptsitze hätten vielfach eigene Rechtsabteilungen mit akademisch ausgebildeten Juristen, die komplexe juristische Problemstellungen bearbeiten würden. «Einfachere rechtliche Aufgaben werden von Rechtsfachleuten im Auftrag der Vorgesetzten erledigt. Bei komplexeren Problemstellungen können Rechtsfachleute aber auch für die Bearbeitung verschiedener Teilaufgaben beigezogen werden.» In Filialbetrieben würden sie alltägliche juristische Probleme selbständig lösen.
«Treuhänderinnen und Treuhänder kommen in ihrer täglichen Arbeit mit den verschiedensten Rechtsbereichen in Kontakt. Rechtsfachleute können ihre treuhänderischen Beratungen mit rechtlichen Auskünften und Hilfestellungen ergänzen und damit einen Mehrwert für ihre Kunden schaffen», sagt Stark.
Aus der Sicht einer Absolventin
Nachdem Maria Imhof ihre kaufmännische Lehre mit Berufsmatura abgeschlossen und knapp zweieinhalb Jahre in diesem Beruf tätig war, suchte sie nach Möglichkeiten, sich beruflich weiterzuentwickeln. Ihr gefiel die Arbeit bei der Kantonalen Verwaltung Glarus, Hauptabteilung Soziales, so sehr, dass sie sich eine Weiterbildung wünschte, die sie dort einbringen könnte. «An meiner Arbeitsstelle war ich zunehmend mit rechtlichen Fragen konfrontiert», erzählt Imhof. «Ich merkte, dass mich diese Fragestellungen interessierten und ich mir fundiertes Wissen im Rechtsbereich aneignen wollte.»
So entschied sie sich nach einem Informationsabend am Zentrum für berufliche Weiterbildung in Sargans für den HF-Bildungsgang «Recht». Da sie bereits voll im Berufsleben stand, kam es für sie nicht in Frage, ein Vollzeitstudium zu absolvieren. «Mich sprach eine Weiterbildung auf der beruflichen Schiene an einer Höheren Fachschule im Teilzeitmodell eher an.» Für ein Rechtsstudium an einer Universität hätte sie zuerst eine Passerelle absolvieren müssen. Angesichts der fundierten und breit abgestützten Ausbildung an der Höheren Fachschule, die sich inhaltlich wohl nicht massgebend von einem universitärem Bachelorstudium unterscheide, erschien ihr die Absolvierung einer Passerelle als verlorenes Jahr. «Für die Ausbildung sprach auch die Klassengrösse, wo Zeit für individuelle Fragen und Raum für Diskussionen bestand. Auch der Standort Sargans war für mich als Glarnerin ideal gelegen.»
Nach ihrem Abschluss stellte sie sich die Frage nach ihren weiteren Einsatzmöglichkeiten. «Ich war immer mal wieder mit rechtlichen Fragen konfrontiert, jedoch noch nicht in einer Regelmässigkeit und Intensität, wie ich es mir wünschte», sagt Imhof. Für sie war es wichtig, das Gelernte so schnell wie möglich anzuwenden, weiter zu vertiefen und praktische Erfahrung zu sammeln. Bereits zu Beginn ihrer Ausbildung bestanden in der Hauptabteilung Soziales Bestrebungen zur Schaffung eines internen Rechtsdienstes. «Denn die Arbeit in einem Sozialdienst wird auch in rechtlicher Hinsicht zunehmend komplexer.» Der interne Bedarf an einer Person mit einer rechtlichen Ausbildung sei also ausgewiesen gewesen. Angesichts der Grösse des Kantons Glarus hätte es sich dabei jedoch lediglich um eine Teilzeitstelle als Abteilung für eine Einzelperson gehandelt. «Der Herausforderung, eine solch grosse Verantwortung ohne fachlichen Austausch frisch ab dem Studium weg zu tragen, fühlte ich mich noch nicht gewachsen», meint Imhof. So entschied sie sich gemeinsam mit ihrem Arbeitgeber, ein einjähriges juristisches Praktikum im Rechtsdienst des Departements Volkswirtschaft und Inneres des Kantons Glarus zu absolvieren, welchem auch die Hauptabteilung Soziales unterstellt ist. Dieses Praktikum – obwohl es kein Muss sei, nach dem Abschluss ein solches zu absolvieren, – habe sich sehr bewährt, so dass es kurzerhand in eine Festanstellung als juristische Mitarbeiterin umgewandelt wurde. «Ich fungiere nun unter anderem als erste Anlaufstelle für rechtliche Fragestellungen der Hauptabteilung Soziales. Durch die Einbettung im Departement kann zudem der fachliche Austausch sichergestellt werden.» Ihr Arbeitspensum betrage im Rechtsdienst 50 Prozent. Die übrige Zeit würde sie nach wie vor als kaufmännische Sachbearbeiterin arbeiten. «Mir war es wichtig, auch weiterhin kaufmännisch tätig sein zu können. Dieser Mix aus juristischer und kaufmännischer Arbeit macht meine Tätigkeit abwechslungsreich und spannend», erzählt Imhof.
Die Berufsbezeichnung als grösste Herausforderung
Eine Herausforderung nach dem Studium sei es gewesen, dass dieser Bildungsgang in ihrem (Berufs-)Umfeld leider nicht sonderlich bekannt sei. «Durch die Unbekanntheit fällt es wohl auch den Arbeitgebenden schwer, den Bildungsgang Rechtsfachperson HF richtig einzuordnen. Dass es Alternativen zu einer universitären Ausbildung gibt, scheint vielen nicht bewusst zu sein.» Dank der breit abgestützten und fundierten HF habe sie jedoch in der Praxis beweisen können, dass sie auch ohne universitäres Studium mit ihrem erlernten fachlichen Wissen den Anforderungen einer juristischen Mitarbeiterin gerecht werde. «Auch darum finde ich es wichtig, dass sich der ODEC für die Positionierung von HF-Abschlüssen stark macht», sagt Imhof abschliessend.