Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden»
Mit viel Engagement und Leidenschaft setzt sich Steve Hess für die nächste Generation ein und wurde 2020 zu den besten drei ICT-Berufsbildnern der Schweiz erkoren. Selbstreflexion und Gespräche gehören dabei genauso zur Weiterentwicklung und Kompetenzerhöhung wie Aus- und Weiterbildung.
Mit Steve Hess* sprach Jsabelle Tschanen
Steve Hess, sie arbeiten als «Coach Next Generation» bei Swisscom und bezeichnen sich als Botschafter und Networker. Was genau beinhaltet Ihre Arbeit?
In meiner Rolle als Coach Next Generation begleite ich aktuell 38 Lernende während ihres Ausbildungsprozes ses bei Swisscom. Unser Ausbildungsmodell setzt auf ein Marktplatzsystem und unsere Lernenden rotieren alle sechs Monate im gesamten Unternehmen. Sie suchen sich immer wieder neue Teams und Aufgaben, welche auf ihre entsprechenden Kompetenzen abgestimmt sind, damit sie daran wachsen und sich zu Fachpersonen entwickeln können. So unterstütze ich meine Lernenden bei der Reflexion ihrer Tätigkeiten, suche nach neuen Aufgaben oder übernehme das Coaching. Zusätzlich übe ich die Rolle des klassischen Vorgesetzten aus.
Als Networker unterstütze ich intern Kolleginnen und Kollegen zu Berufsbildungsthemen, akquiriere neue Projekte für unsere Lernenden und vertrete extern in Gremien und Fachgruppen die Interessen unserer Berufsbildung oder arbeite in Revisionsgruppen zur Weiterentwicklung der Berufsbildung mit.
Die nächste Generation scheint Ihnen sehr wichtig zu sein, Sie setzen sich leidenschaftlich für die Berufsbildung ein. Warum und was sind Ihre Ziele?
Ergebnisse des Bundesamts für Statistik oder anderer Quellen belegen, dass die meisten Schülerinnen und Schüler in der Schweiz eine Lehre absolvieren. Auch ich habe nach meiner obligatorischen Schulzeit eine Lehre als Informatiker abgeschlossen. In unserem einzigartigen dualen Bildungssystem der Schweiz sehe ich unzählige Chancen und Möglichkeiten, denn kein Abschluss ohne Anschluss.
Die nächste Generation wächst in einer Zeit heran, die sich im Direktvergleich zu meiner Ausbildungszeit wieder grundlegend verändert hat und neue Kompetenzen fordert. So sehe ich es als wichtigen Erfolgsfaktor, dass wir der nächsten Generation Möglichkeiten eröffnen, damit sie sich entwickeln und verwirklichen können. Wir hingegen profitieren von ihren neuen Kompetenzen, Ideen, Ansätzen und Vorgehen und können so gemeinsam wachsen.
Mein persönliches Ziel ist es, dass ich meinen Lernenden das bieten kann, was sie brauchen, damit sie ihre Arbeit zufriedenstellend erledigen können und am Ende des Tages stolz sein dürfen.
Welchen speziellen Herausforderungen standen Sie im Covid- Jahr gegenüber und welche Lösungen konnten Sie anbieten?
«Und plötzlich waren 900 Lernende im Homeoffice» lautet die Schlagzeile, retrospektiv war das Fakt, als der Bundesrat letztes Jahr das öffentliche Leben auf ein absolutes Minimum reduzierte. Ich glaube, nicht nur wir von Swisscom, sondern alle Unternehmen, Selbstständige sowie Bildungsinstitute standen vor einer nie dagewesenen Herausforderung. Da wir bei Swisscom schon vor Covid-Ausbruch die Möglichkeit von Homeoffice nutzen konnten, war es für uns nicht ganz ungewohnt; ungewohnt war aber «nur» noch von zuhause zu arbeiten.
So haben wir verschiedene digitale Formate ins Leben gerufen, um mit unseren Lernenden täglich in Kontakt zu bleiben. Aber auch Formate, wo wir gemeinsam Pause machen und uns über nicht-geschäftliche Themen austauschen, was die Lernenden sehr schätzten und noch heute nutzen.
Eine einheitliche Lösung gibt es nicht. Der Schlüsselerfolg liegt, denke ich, in der gezielten Unterstützung mit individuellen Massnahmen und Angeboten, indem wir unserem Gegenüber zuhören und gezielt Fragen stellen, wo der Schuh aktuell drückt.
Sie wurden 2020 zu einem der drei besten ICT-Berufsbildnern der Schweiz erkoren. Wie kommt man zu dieser Ehre?
Ich bin noch immer überwältigt und unglaublich dankbar, dass ich so ausgezeichnet wurde. Jährlich können alle ICT-Lernenden ihren Berufsbildner oder ihre Berufsbildnerin nominieren mit Geschichten und Erlebnissen, weshalb diese Person zu den besten ICT-Ausbilderinnen und – Ausbilder erkoren werden sollen. Diese Nomination durchläuft dann eine mehrstufige Jury, die aus allen Geschichten und Kandidierenden die drei besten jährlich kürt. Wie ich dazu gekommen bin? Ich arbeite stets nach dem Prinzip, dass ich das, was ich heute mache, zur vollsten Zufriedenheit erledigen möchte. Dass meine Lernenden so zufrieden sind mit meinen Leistungen, ist für mich mehr als Dank und Ehre. Deshalb möchte ich mich hier ebenfalls bei all meinen Lernenden von Herzen für ihr Vertrauen bedanken!
Die Bezeichnung «Lifelong learner» scheint auch bei Ihren Ausbildungen relevant gewesen zu sein. Eine HF-Ausbildung war Ihnen nicht genug. Warum haben Sie nach Informatik HF auch noch Wirtschaftsinformatik HF studiert?
Die Bezeichnung «Lifelong learner» erachte ich nicht nur als ein Motto oder ein Lippenbekenntnis, sondern viel mehr als eine Haltung und Einstellung. Es müssen nicht zwingendermassen Aus- und Weiterbildungen sein, an denen neue Kompetenzen oder Inhalte vermittelt werden. So können auch Gespräche mit Personen oder ein inspirierender Beitrag Quelle sein, um neue Ideen zu wecken oder sich zu reflektieren. Ich erachte das Lernen auf Vorrat als nicht zielführend. Ich glaube fest daran, dass Aus- und Weiterbildungen auf die aktuelle Funktion abgestimmt sein sollten.
Nun, auf meine beiden HF-Abschlüsse bezogen, habe ich mich im ersten Studiengang technisch stark weiterbilden können und war begeistert von der Praxisnähe. Die HF Informatik war für mich in meiner damaligen Rolle optimal und brachte mir und dem Unternehmen einen Mehrwert, da ich mich in einem komplexen technischen Umfeld besser zurechtfinden konnte.
Da ich aber auch den Aspekt der Wirtschaft nicht auslassen wollte, habe ich mich dazu entschieden, eine zweite HF in Wirtschaftsinformatik anzuhängen. Auch diese Ausbildung war sehr praxisnah und lieferte für meine aktuelle Rolle als Coach wertvolle Einblicke in genau die Themen, die ich in dieser Funktion brauche. Personalmanagement, Wirtschaftlichkeit, Auftrittskompetenz sind nur drei Beispiele von erlernten Inhalten. Durch die HF in Wirtschaftsinformatik erhielt ich die wirtschaftlichen Aspekte und auch zusätzliche Managementaufgaben mit auf den Weg.
Durch meine letzten und aktuellen Weiterbildungen im Bereich der Bildung erhalte ich zusätzlich lehrreiche Themen rund um Psychologie, Coaching, Begleitung und Unterstützung in der Bildungswelt. Und schliesslich habe ich auch nie ausgelernt und es bereitet mir stets Freude, auch von anderen lernen zu dürfen.
Warum sind Sie dem ODEC beigetreten und wie profitieren Sie vom Verband?
Wenn ich mich an meine Lehrzeit zurückerinnere, war nur die Rede von der Tertiärstufe A, also von Fachhochschulen. Durch meinen damaligen Vorgesetzten wurde ich auf die Höhere Fachschule hingewiesen. Mit steigenden Zahlen von HF-Diplomierten ist ein wichtiger Schritt zu mehr Sensibilisierung möglich. Der Verband vertritt genau die Interessen der HF-Absolvierenden im In- und Ausland.
Hier profitiere ich natürlich von einem starken Verband, der sich für diese einzigartige Bildungslandschaft der Schweiz stark macht und auch in verschiedensten Gremien und in der Politik die Kompetenzen der Höheren Fachschulen und deren Diplomierten für eine bessere Positionierung vertritt.
Leidenschaften sind oft zeitintensiv. Wie bringen Sie all Ihre Tätigkeiten unter einen Hut und wie tanken Sie auf?
Da haben Sie natürlich recht; manchmal fällt es schwer, alles unter einen Hut zu bringen und dann noch genügend Zeit zum Auftanken zu haben. Damit ich alle Tätigkeiten bewältigen kann, versuche ich stets optimal zu planen. Es mag sich speziell anhören, aber damit ich an alles denke, habe ich stets einen vollen Kalender. Dieser ist mit Erinnerungen, aber auch Zeiten zum Abschalten gefüllt. Eine gute Planung meiner Ressourcen ist der Erfolg, dass ich einerseits meinen Leidenschaften nachkommen kann und andererseits dennoch eine Flexibilität habe, um Kurzfristiges dazwischenzuschieben.
Damit ich aber ganz abschalten kann, geniesse ich viel Zeit auch mit meinen Eltern, welche stets an mich geglaubt und mir auch in schwierigen Situationen den notwendigen Halt geboten haben. So kann ich für mich sagen, dass ein Tag im schönen Berner Oberland einer Ferienwoche am Strand gleichkommt. Auch in diesen speziellen Zeiten ist es essenziell notwendig, abschalten zu können und sich bewusst Zeit zu nehmen. Das bewusste «Offlinesein» und etwas mit Freunden oder Familie zu unternehmen, erachte ich aktuell als sehr wichtig, um das Gleichgewicht halten zu können.
Haben Sie ein Lieblingsmotto oder einen Lieblingsspruch?
Definitiv habe ich das! Es ist nicht nur ein Motto oder ein Spruch, sondern auch eine Einstellung, welche ich an meinem ersten HF-Studiengang erlernte und die mich noch heute begleitet: «Wer glaubt, etwas zu sein, hat aufgehört, etwas zu werden.» Diese Aussage weckte in mir eine intrinsische Motivation, stets das Beste herauszuholen und mich eben nicht auf den Lorbeeren auszuruhen oder zu glauben, ich könnte etwas nicht noch besser oder anders machen. Denn schliesslich hat niemand ausgelernt. So treibt mich diese Aussage und Haltung stets weiter, noch mehr herauszuholen und mich stets weiterzuentwickeln, in jedem Aspekt.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Einerseits wünsche ich grundsätzlich allen Menschen eine gute Gesundheit und die Möglichkeit, das zu unternehmen, was sie gerne möchten, und alle Chancen dieses Lebens nutzen zu können.
Auf der anderen Seite wünsche ich mir, dass wir alle auch mehr Rücksicht auf unsere Mitmenschen nehmen und versuchen, aufeinander zu hören, Wünsche zu platzieren und gemeinsame Lösungen zu finden. Einfaches Beispiel: In unserer schnelllebigen Arbeitswelt wird die Frage «Wie geht es dir?» oft als reine Höflichkeit verwendet und nicht als Frage des Wohlbefindens aus Interessensgründen. So sehe ich uns alle in der Verantwortung, unsere Mitmenschen in den Fokus zu stellen. Denn zufriedene und glückliche Menschen sind im Stande, auch bessere Leistungen erzielen zu können.
Versuchen Sie doch in einem nächsten Gespräch mit Vorgesetzten, Kolleginnen, Kollegen, Freunden, Eltern oder Lernenden, die Frage «Wie geht es dir?» nicht als Höflichkeitsfloskel zu stellen, sondern als Frage nach der Befindlichkeit und aus dem Interesse heraus, dem Gegenüber die Plattform zu bieten, um über die Themen zu sprechen, die die Person beschäftigen; wo stehen Herausforderungen an oder kann man einfach zufrieden sein, dass alles eben wirklich gut ist!