«Direkt am Puls des Lebens beteiligt»
Vom Mitarbeiter auf der Post zum Bereichsleiter in einer Operationsabteilung. Ein spannender Einblick von Robert Slipac, was ihn zum Wechsel veranlasst hat, welche Veränderungen wahrgenommen wurden, wo Engagement und Herzblut zusammenfinden und dass Applaus vom Balkon für Mitarbeitende aus dem Gesundheitswesen als Wertschätzung nicht reicht.
Mit Robert Slipac* sprach Jsabelle Tschanen
Robert Slipac, Ihr Werdegang ist eher unkonventionell. Vom Front-Office-Mitarbeiter bei der schweizerischen Post haben Sie eine komplett andere Schiene eingeschlagen und sind nun Bereichsleiter Operationsabteilung Chirurgie / AEMP¹ im Kantonsspital Graubünden. Wie kam das?
Robert Slipac: Nach vier Jahren in der Postbranche dachte ich, es ist Zeit für etwas Neues. Dazumal waren die Fernsehserien Dr. House und Grey’s Anatomy beliebt und ich fand diesen Bereich ebenfalls faszinierend. Daher erkundigte ich mich über die verschiedenen Berufe im Krankenhaus und stiess dabei auf den Fachmann für Operationstechnik HF. Obwohl ich zunächst keine Ahnung von diesem Beruf hatte, empfand ich die Aufgabenbeschreibung als sehr passend für mich. Es handelt sich um einen Arbeitsbereich, bei dem man direkt am Puls des Lebens beteiligt ist! So führte eines zum anderen.
Wie hat Ihr Umfeld darauf reagiert?
«Wie bitte? Vom Verkaufen von Briefmarken und Abstempeln von Einzahlungsscheinen zum Fachmann für Operationstechnik HF?» waren übliche Reaktionen. In meinem Freundes- und Familienkreis arbeitete niemand im Gesundheitswesen und entsprechend waren viele skeptisch. Meine grosse «kleine» Schwester sowie meine Eltern haben mich jedoch stets ermutigt, den Schritt zu wagen, ich hätte schliesslich nichts zu verlieren. Auch meine zwei besten Freunde motivierten mich dazu, jedoch nicht ohne mich regelmässig am Freitagabend zu foppen; sie durften in den Ausgang und ich in den Nachtdienst.
Warum gerade das Studium Operationstechnik HF?
Der Studiengang Operationstechnik ist äusserst vielfältig und genau das hat mich angesprochen. Es beinhaltet das Erlernen des menschlichen Körpers von Kopf bis Fuss, einschliesslich aller verschiedenen Krankheiten sowie deren operativen Behandlungen. Auch für die Technik, Sterilität etc. vor, während und nach der OP und Unterstützung bei Handlungen des Chirurgen ist man zuständig. Die Kombination aus Technik und Menschlichkeit war für mich passend. Ein entscheidendes Kriterium war, dass ich einen Beitrag dazu leisten kann, Menschen dabei zu helfen, ihren Alltag wieder zu gestalten und ihr Leben bestmöglich zu geniessen.
Und welche Veränderungen hat diese Ausbildung bewirkt?
Nebst dem neuen Wissen und dem komplett neuen Arbeitsfeld habe ich mich als Mensch verändert. Ich bin pragmatischer geworden. Familie und Freunde berichten, dass ich «kälter» geworden bin. Dies kann ich nachvollziehen, da ich im OP täglich mit Schicksalsschlägen konfrontiert werde, wie Tumore, Krebs, Unfällen und – glücklicherweise selten – dem Tod. Dadurch bin ich realistischer unterwegs und zeige weniger Mitgefühl, wenn jemand über den Alltag klagt.
Letztendlich handelt es sich dabei um einen Schutzmechanismus meinerseits. Wenn ich jede Operation emotional an mich heranliesse, wäre die Ausübung dieser Berufung nicht möglich!
Später absolvierten Sie den «Master of Health Service Management». Noch ein Türöffner?
Dieser Abschluss trug sicherlich dazu bei, dass ich die Beförderung zum Bereichsleiter der Operationsabteilung und der Aufbereitungseinheit für Medizinprodukte erhielt. Das neu erlernte Wissen ermöglichte es mir, meine Kompetenzen zu erweitern und mich auf diese anspruchsvolle und verantwortungsvolle Aufgabe vorzubereiten.
Nun sind Sie im Kantonsspital Graubünden Bereichsleiter OP / AEMP. Was genau beinhaltet Ihre Arbeit?
Kurz gesagt, ich bin für die Sicherstellung der fachlichen, betriebswirtschaftlichen, organisatorischen und personellen Führung der gesamten Operationsabteilung und der Aufbereitungseinheit für Medizinprodukte verantwortlich. Dies umfasst viele Aspekte, wie beispielsweise die OP-Planung, die OP-Materialbewirtschaftung, die Personalplanung, die Kontrolle und Einhaltung von gesetzlichen und regulatorischen Normen und vieles mehr. Aber diese Aufgabe ist keine One-Man-Show! Der OP-Bereich ist stark von interdisziplinärer Zusammenarbeit geprägt, was sehr wertvoll ist, aber auch eine Herausforderung darstellt. Bildlich gesprochen sehe ich mich in der Rolle eines Fluglotsen. Ich empfange diverse Bedürfnisse, Anliegen, Wünsche, Anträge, aber auch Probleme und Störungen auf sachlicher sowie emotionaler Ebene. Diese Aufgaben müssen entsprechend bearbeitet werden. Dabei unterstützt mich ein fantastisches Team, das mir hilft, diese Vielfalt von Aufgaben zu bewältigen und in der gewünschten und geforderten Qualität zu erledigen.
Können Sie uns ein paar Zahlen nennen, wie viele Mitarbeiter lotsen Sie und um wie viele jährliche Operationen geht es ungefähr?
Die personelle Leitung beinhaltet neun Stabstellenmitarbeitende, acht Kaderleute sowie über einhundert Mitarbeitende und betrifft dreizehn Operationssäle. Zuzüglich kommt noch die personalrechtliche Leitung des Urologischen Ambulatoriums (ca. 10’000 Patienten und Patientinnen) dazu.
Jährlich fallen um die 15’000 stationäre und ambulante Operationen in meinen Aufgabenbereich.
Sie tragen viel Verantwortung und müssen sozusagen rund um die Uhr erreichbar sein. Wie gehen Sie damit um und wie oft werden Sie in der Nacht geweckt?
Als Bereichsleiter werde ich nicht mehr oft in der Nacht geweckt. Aber es überrascht mich, dass ich das Vibrieren meines Handys um 4 Uhr morgens wahrnehme und entsprechend reagieren kann. Ich empfinde es als tolerierbar. Ich weiss aber auch von meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, dass sie erst alles selbst versuchen, bevor sie mich anrufen. Quasi bin ich die letzte Hoffnung in der Not.
Auf Notfälle oder auch Katastrophen müssen Sie gewappnet sein respektive sie aushalten. Wie grenzen Sie sich ab?
Abgrenzung ist ein zentrales Thema. Schon im Studium haben wir gelernt, dass eine gesunde Abgrenzung essenziell ist. Wichtig bei solchen Ereignissen ist, den Fokus auf die Arbeit zu behalten. Wir haben uns dazu entschieden, in diesem Beruf Menschen helfen zu wollen. Dieser intrinsische Faktor hilft uns auch bei schlimmen Unfällen, das Positive zu sehen. In den meisten Fällen gelingt es uns im interdisziplinären Team, das Leben eines Menschen zu retten oder zumindest die Lebensqualität aufrechtzuerhalten. Meine Familie, meine Partnerin und meine Freunde sind immer für mich da und lenken mich von diesen Ereignissen ab.
Neben der Arbeit sind Sie in diversen Gremien² im Vorstand oder als Präsident aktiv, Sie sind Dozent und als Fachexperte beim Bund tätig. Wie erhalten Sie Ihre Work- Life-Balance?
All diese Tätigkeiten mache ich mit Leidenschaft und Herzblut. Schon als Teenager war ich sehr engagiert, beispielsweise im Handballclub Dübendorf, und bin mit diesen zusätzlichen Aufgaben aufgewachsen, sodass es für mich zur Normalität geworden ist. Meine Hobbys, die Musik und das Kochen, helfen mir, ein Gleichgewicht zu halten. Natürlich erfordert meine Freizeit eine sorgfältige Planung und Organisation. Ich bemühe mich, meine Partnerin, meine Familie, meinen breiten Freundeskreis sowie natürlich auch meine Patenkinder dabei angemessen zu berücksichtigen. Ein Abendessen bei meinen Schwiegereltern in spe ist daher ebenso ein fester Termin in meinem Terminkalender (lacht).
Auch auf politischer Ebene sind Sie engagiert. Für welche Themen setzen Sie sich ein?
Meine Arbeit konzentriert sich hauptsächlich auf Verbands- und Bildungspolitik für den Studiengang Operationstechnik. Neben meinem Einsatz für einen angemessenen Rahmenlehrplan sind Lohnthemen immer wieder auf unserer Agenda. Das Gesundheitswesen der gesamten Schweiz und insbesondere die Stärkung des Berufsbildes Fachpersonal für Operationstechnik liegt mir sehr am Herzen. Ich vertrete unseren Beruf in verschiedenen Gremien, um ihn zu stärken und zu positionieren. Gleichzeitig ist es mir ein grosses Anliegen, Gleichberechtigung zu fördern und die Fähigkeit, über den Tellerrand zu blicken. Das ist in der Politik nicht immer einfach. Silodenken und teilweise Selbstbezogenheit erschweren die Verhandlungen.
Der «Professional Bachelor ODEC» wird in den Fachbereichen Technik, Betriebswirtschaft und Tourismus oft beantragt, im Gesundheitsbereich seltener. Welchen Nutzen hat er Ihnen gebracht?
Die Anzahl der Schweizer HF-Absolvierenden im Gesundheitsbereich, die im Ausland arbeiten möchten, ist im Vergleich zu anderen Branchen sicherlich geringer. Für mich war der Prozess zum Professional Bachelor ODEC eine wichtige Erfahrung. Es gibt immer wieder Anfragen von Mitgliedern des Schweizerischen Berufsverbandes der dipl. Fachfrauen und Fachmänner für Operationstechnik HF (SBV TOA), die im Ausland arbeiten möchten und Unterstützung benötigen, um ihr HF-Diplom international zu erläutern. Mit meinem Wissen als ODEC-Mitglied und Inhaber eines Professional Bachelor ODEC kann ich diesen Nutzen unseren SBV-TOA-Mitgliedern aus erster Hand weitergeben.
Was sind Ihre Zukunftswünsche?
Ich wünsche mir deutlich mehr Nachwuchs für den OP-Bereich, gepaart mit einer guten Dosis Kontinuität. Für die bestehenden und neuen Generationen ist es meiner Meinung nach wichtig, eine grössere Offenheit gegenüber Veränderungen zu entwickeln. Die medizinische Technik macht rasante Fortschritte und die Operationstechniken werden immer vielfältiger. Diese Veränderungen sollten wir mit Interesse, Motivation und Mut entgegennehmen.
In einem weiteren Sinne möchte ich einen Wunsch für die Schweiz äussern: Unser Gesundheitssystem ist doch ein Vorzeigemodell. Der unermüdliche Einsatz unserer Gesundheitsmitarbeitenden ist das Herz dieses Systems. Dieser Einsatz verdient mehr als nur Anerkennung– er verdient Wertschätzung und ständige Unterstützung. Ein Applaus vom Balkon ist eine liebe Geste, aber wir können und müssen mehr tun. Es ist an der Zeit, dass Politik und Medien einen tieferen Blick hinter die Kulissen werfen und wirklich verstehen, was wir als Paramediziner leisten. Nur dann können sie die immense Arbeit würdigen, die wir leisten, um jedem Patienten das Gefühl zu geben, in den besten Händen zu sein.
¹Aufbereitungseinheit für Medizinprodukte (AEMP)
² Zentralvorstandsmitglied Schweizerischer Berufsverband Dipl. Fachfrauen/-männer Operationstechnik HF; Präsident EFORT European Federation of Operating Room Technicians; Präsident der eidgenössischen Entwicklungskommission für den Rahmenlehrplan Operationstechnik HF; Delegierter nationale e-log-Kommission; Delegierter Interessensgemeinschaft für Wiederaufbereitung im Gesundheitswesen; Fachexperte für Operationstechnik beim SBFI; Mitglied der Steuergruppe für Fachfrauen/-männer OP-Lagerung
*Steckbrief
Name: Robert Slipac
Jahrgang: 1991
Wohnort: Felsberg
ODEC-Mitglied: seit 2016
Aktuelle berufliche Tätigkeit: Bereichsleiter Operationsabteilung Chirurgie und Aufbereitungseinheit für Medizinprodukte (AEMP)
Lehre: Detailhandelsfachmann Richtung Beratung
HF-Studium: Operationstechnik
Weiterbildung: Leiter Handball Jugendsport J&S, Berufsbildner Sek II, Erwachsenenbildner SVEB 1, Dozent an Höheren Fachschulen im Nebenamt (PH Luzern), Master of Health Service Management
Hobbys: Musik, Kochen und Fotografie