Der Schreibtisch in Zürich, der Arbeitsort rund um den Globus
Sie ist eine begehrte Frau – bei Ursula Renold trudeln fast täglich Anfragen aus der ganzen Welt ein. Die leitende Bildungsforscherin der Konjunkturforschungsstelle KOF der ETH Zürich ist eine Koryphäe der Berufsbildung und weiss Rat, wenn es darum geht, Probleme anzupacken und Reformen umzusetzen. Dennoch nimmt sie sich regelmässig Zeit für den ODEC.
Nepal, Indien, Benin, Serbien, Schweiz, Colorado – Ursula Renolds Wirkungskreis zieht sich von Asien über Westafrika nach Europa und in die USA. Die Aargauer Wissenschaftlerin weiss, dass die Schweiz in der Berufsbildung eine Vorreiterrolle hat und ihr Wissen auch deshalb sehr gefragt ist. Doch es läge ihr fern, andere Bildungssysteme lediglich durch die „Schweiz-Brille“ zu betrachten: Eine neutrale Herangehensweise an Probleme ist ihr wichtig. So hat sie mit ihrem zehnköpfigen, internationalen Team verschiedene Messinstrumente entwickelt, um Ländervergleiche zu ermöglichen. Um beispielsweise herauszufinden, wie gut die Zusammenarbeit zwischen der Wirtschaft und der Bildung funktioniert, hat sie den „KOF Education Employment Linkage Index“ geschaffen. Und der „KOF Youth Labour Market Index“ zeigt die Situation der Jugendlichen in den Arbeitsmärkten von 178 Ländern.
Systemtheorie in der Praxis
Als Leiterin des Bereichs Bildungssystemforschung hat Ursula Renold ihren Traumberuf gefunden. „Ich mag die ganz komplexen Zusammenhänge“, erklärt sie ihre Faszination für Bildungssysteme. Man müsse zuerst die historischen Prozesse, die kulturellen Codes und das politische System der Länder verstehen, um die Probleme zu identifizieren und die passenden Lösungen zu finden. Renold hat nach einer Banklehre auf dem zweiten Bildungsweg Volkswirtschaft, Geschichte und Soziologie studiert. „Das fanden damals viele eine seltsame Kombination“, erinnert sie sich lächelnd. Doch für sie sei es der perfekte Hintergrund, um die miteinander verbundenen Systeme zu verstehen.
Die Stufe HF fördern
Inzwischen geniesst Ursula Renold das Privileg, sich nur für Projekte einzusetzen, die sie wirklich interessieren. Dazu gehört seit zwei Jahren auch eine intensive Zusammenarbeit mit dem ODEC. In ihren Beiträgen im ODEC-Bulletin schreibt sie jeweils über aktuelle Projekte und in der HF-Salärumfrage ist sie fürs Thema Digitalisierung zuständig. Die Stufe HF sei ihr wichtig, sagt Renold: „Die Schweiz braucht Praktiker mit einer höheren Bildung und nicht mehr Akademiker.“ Leider mangle es der Höheren Berufsbildung immer noch an Prestige und Anerkennung. Ihr Rezept, die HF-Bildung attraktiver zu machen? „Ohne eidgenössische HF-Titel geht es in Zukunft nicht“, meint sie. Auch der Nationale Qualifikationsrahmen NQR, der Bildungsleistungen vergleichbar macht, sei ein wichtiges Instrument, das gefördert werden müsse.
Wertvolle Zusammenarbeit mit dem ODEC
Den ODEC kennt Renold bereits aus ihrer Zeit als Direktorin des Bundesamts für Berufsbildung und Technologie (heute SBFI), welches sie von 2005 bis 2012 leitete. Sie habe mit dem ODEC wohl an einer HF-Diplomfeier Bekanntschaft gemacht. Dort habe sie auch immer wieder über die Qualität der Diplomarbeiten gestaunt. Nach wie vor ist die Bildungsforscherin in die Stufe HF involviert. Zusammen mit ihrem Team evaluiert sie die Rahmenlehrpläne der Höheren Fachschulen für Wirtschaft HFW und führt dafür Untersuchungen durch. In diesem Zusammenhang sind denn auch die Resultate der Salärumfrage interessant fürs KOF – um die Resultate aus den HFW-Studien zu überprüfen. Und weil die digitale Transformation, die zu immer schnelleren Veränderungen der Arbeitswelt führt, Auswirkungen auf die Bildungsinhalte und Lehrpläne hat. Ursula Renold ist überzeugt, dass die HF-Rahmenlehrpläne geeignet sind, um dieser Herausforderung zu begegnen. Allgemein sei die Sensibilisierung in Bezug auf die Digitalisierung vor allem in den HF-Bereichen Technik und Wirtschaft gross. Bei der nächsten Umfrage erwartet sie, dass die Resultate den Einfluss der Digitalisierung noch stärker aufzeigen.
Und wie beurteilt die Expertin die Bildung in der Schweiz im Allgemeinen? „Unser ausdifferenziertes Bildungssystem wird allen Bedürfnissen gerecht. Deshalb ist es so leistungsfähig, aber auch so komplex“, stellt Renold fest. Unser Bildungssystem müsse man nicht vereinfachen. Doch: „Bessere Kommunikation und mehr Informationen sind nötig.“