Beruf Bekleidungsgestaltung: Vielfältige Auf- und Umstiegsmöglichkeiten
Berufliche Grundbildungen ermöglichen vielfältiges Auf- und Umsteigen. Das zeigt eine neue Untersuchung, welche unsere Forschungsgruppe im Auftrag der Interessengemeinschaft Berufsbildung Bekleidungsgestaltung durchgeführt hat.
Von Thomas Bolli und Ursula Renold
Bekleidungsgestalterinnen und Bekleidungsgestalter durchlaufen im Vergleich zu anderen Berufsfeldern in der Regel eine atypische Ausbildung, denn viele Jugendliche erwerben ihre Kompetenzen in sogenannten Lehrateliers. Das hat bei Kantonen zur Frage geführt, ob dies zweckmässig sei und ob die Jugendlichen überhaupt arbeitsmarktfähig seien und über Entwicklungsperspektiven verfügen. Das Swiss Education Lab unserer Professur führt deshalb mehrere Projekte durch, um diese Fragen empirisch zu prüfen.
In einer ersten Studie haben wir uns mit den Beschäftigungsmöglichkeiten und dem erzielten Lohn von Bekleidungsgestaltenden beschäftigt. Diese Studie zeigt, dass die Arbeitsmarktsituation der Ehemaligen, welche grösstenteils weiblich sind, in etwa derjenigen des Durchschnitts der weiblichen Bevölkerung (DwB) entspricht. Bekleidungsgestaltende sind im Durchschnitt mit 70 Prozent (60% DwB) häufiger beschäftigt, haben mit 50 Prozent (40% DwB) einen höheren Prozentsatz an Vollzeit-Beschäftigten, sind mit 15 Prozent (10% DwB) öfter selbstständig und sind mit 28 Prozent (25% DwB) häufiger in einer Vorgesetzten-Funktion als die durchschnittliche weibliche Bevölkerung. Sie erzielen einen durchschnittlichen Lohn von CHF 60’000 pro Jahr (CHF 70’000 DwB).
Bildungsbiografien im Detail
Um die Bedeutung der höheren Berufsbildung aufzuzeigen, fokussieren wir in dieser Kolumne auf die jüngste Studie, welche die Bildungsbiografien und damit die weiterführenden formalen Bildungsgänge beleuchtet. Ehemaligen einer beruflichen Grundbildung in der Bekleidungsgestaltung stehen verschiedene weiterführende Ausbildungen zur Verfügung. Wir haben untersucht, wer welche weiterführenden formalen Bildungsgänge absolviert hat.
Die Abbildung 1 zeigt für jede Ausbildungskategorie den Anteil Abschlüsse an allen weiteren formalen Abschlüssen der Ehemaligen im Durchschnitt über die ersten sieben Jahre nach Abschluss der beruflichen Grundbildung. Dabei wird unterschieden zwischen EFZ ohne Berufsmatura BM1¹ und EFZ mit BM1. Wir gehen in dieser Kolumne nur auf die wichtigsten Erkenntnisse dieser Untersuchung ein. So sieht man, dass beispielsweise bei den Bekleidungsgestaltenden EFZ ohne BM1 56 Prozent der Abschlüsse nach der beruflichen Grundbildung auf der Sekundarstufe II erfolgen, wobei 32 Prozent eine Fachmaturität oder Berufsmaturität sind, während gymnasiale Maturitäten oder Passerellen sehr selten vorkommen. Die andere Hälfte der Abschlüsse der EFZ-Ehemaligen ohne BM1 verteilt sich auf Abschlüsse an Höheren Fachschulen (21%), eidgenössische Fachausweise und Diplome (5%), Abschlüsse an Fachhochschulen oder pädagogischen Hochschulen (15%) und solche an universitären Hochschulen (4%).
Etwas anders sieht das Bild bei den Bekleidungsgestaltenden EFZ mit BM1 aus. Hier erfolgen nur 30 Prozent der weiteren Abschlüsse auf der Sekundarstufe II, wobei es sich bei 17 Prozent um gymnasiale Maturitäten oder Passerellen handelt, welche den Ehemaligen den Zugang zu den universitären Hochschulen erlauben. Bei 24 Prozent der Abschlüsse handelt es sich um eine höhere Berufsbildung, wobei Bekleidungsgestaltende vorwiegend an Höhere Fachschulen gehen (20%). 35 Prozent der weiteren Abschlüsse der Bekleidungsgestaltenden erfolgen an einer Fachhochschule oder pädagogischen Hochschule, während 11Prozent von einer universitären Hochschule sind.
Vielfalt an Auf- und Umstiegsmöglichkeiten
Die Vielfalt an Auf- und Umstiegsmöglichkeiten zeigt sich in den spezifischen Abschlüssen noch deutlicher. Tabelle 1 zeigt auf, welche spezifische Abschlüsse die Ehemaligen eines EFZ als Bekleidungsgestaltende innerhalb der ersten sieben Jahre nach dem Abschluss der Berufslehre zusätzlich erwerben. Dies illustriert die Vielfalt der Möglichkeiten, welche den Ehemaligen zur Verfügung stehen. Eine wichtige Rolle spielt zudem die Fortbildung zu Theaterschneidern, welche noch keine formale höhere Berufsbildung ist. In der Branche laufen allerdings Diskussionen in diese Richtung, was die höhere Berufsbildung weiterhin aufwerten würde.
Besonders interessant ist, dass Bekleidungsgestaltende auch den Weg an die Hochschulen wählen. Hier sind vor allem zwei Studienrichtungen zentral. Einerseits das Produkt- und Industriedesign; andererseits die Lehrpersonenausbildung für die Vorschul- und Primarstufe.
Die Untersuchung zeigt einmal mehr auf, wie durchlässig das Schweizer Bildungssystem ist und welch hohen Stellenwert die höhere Berufsbildung für Bekleidungsgestaltende hat. Es wäre also unklug, würde man diese berufliche Grundbildung abschaffen, nur weil sie meist in einer atypischen Form (Lehratelier) angeboten wird. Auch die weiterführenden Studien zum Arbeitsmarkterfolg und weiteren Indikatoren (siehe Swiss Education Lab) haben gezeigt, dass Bekleidungsgestaltende einen mit anderen Berufen vergleichbar hohen Lohn erzielen können. Dank der Verfügbarkeit moderner Bildungsindikatoren und -Statistiken ist es heute möglich, solch wichtige bildungspolitische Fragen evidenzbasiert zu klären.
*Mitarbeitende der Professur für Bildungssysteme der ETH Zürich
Referenz:
Audrey, Au Yong Lyn, Bolli, Thomas, Rageth Ladina, Renold, Ursula (2021). Verbleibstudie und Kompetenzanalyse Berufsbildung Bekleidungsgestaltung. Bericht zu den Bildungsbiografien von Ehemaligen einer beruflichen Grundbildung in der Bekleidungsgestaltung. CES Studien, Nr. 17, Juni 2021.
¹ BM1 bedeutet, dass die Berufsmaturität BM gleichzeitig mit dem EFZ absolviert wird. BM2 würde bedeuten, dass sie anschliessend an das EFZ absolviert wird. Letztere ist in dieser Untersuchung nicht erfasst.